Wilde Fermente

Fermentations­faktoren

Fermentationsfaktoren

Um das Wachstum der erwünschten Mikroorganismen zu fördern und das gewünschte Fermentationsergebnis erzielen zu können, müssen wir in unseren Fermentationsgläsern die richtige Wohlfühlatmosphäre schaffen. Dafür gibt es einige Fermentationsfaktoren bzw. -bedingungen, die beachtet werden müssen.

Dabei können wir uns an folgender Formel orientieren:

GEMÜSE (ODER AUCH OBST) + SALZ + pH-WERT +SAUERSTOFFGEHALT + TEMPERATUR + ZEIT = LECKERES, WILDES FERMENT

Bei diesen 6 Faktoren handelt es sich im Wesentlichen um Parameter, die uns in der Mikrobiologie dabei helfen Mikroorganismen wie Bakterien, Hefen, Pilze etc. zu klassifizieren.
So gibt es Mikroben, die Sauerstoff lieben, andere, die ein anaerobes Umfeld bevorzugen. Mikroorganismen, die in einer salzigen Umgebung leben können, andere wiederum nicht. Die einen fühlen sich in einem sauren Milieu pudelwohl und andere können diese sauren Bedingungen nicht tolerieren.
Verstehen wir diese Parameter und wissen wir welche Mikroben, in welchem Ferment vorkommen, können wir sie für unsere Fermentationsprozesse einsetzen. Wir können durch eine gezielte Manipulation diese Parameter kontrollieren u.a. welche Bakterien in unserem Fermentationsansatz florieren und die Fermentation in Gang setzen und dabei gleichzeitig das Wachstum von schädlichen Mikroorganismen hemmen sowie das Endergebnis beeinflussen.
Vor allem bei der wilden Fermentation ist das sehr wichtig, denn wir starten mit einer großen Vielzahl an Mikroben, die natürlich auf unseren Zutaten und in unserer Umgebung vorkommen. Wir beeinflussen die Faktoren so, dass in unserem Fermentationsgefäß nur die Mikroben überleben und “arbeiten”, die wir für die spezifische Fermentation brauchen.

Es gibt einige unabhängige, für sich stehende Faktoren, die in Wechselbeziehungen treten können sowie abhängige Faktoren.
Zu den unabhängigen Faktoren gehören:

  • das Substrat
  • die Salzkonzentration
  • der Sauerstoffgehalt
  • die Fermentationszeit
  • die Fermentationstemperatur

Der abhängige Fermentationsfaktor ist das Endprodukt bzw. die Endkomposition der Mikroorganismen. Dieser Faktor ist immer davon abhängig, wie die independenten Faktoren verändert werden.

Das Substrat

Als Substrat werden alle Zutaten bezeichnet, die wir nutzen, um das Ferment herzustellen. Das Substrat dient unseren Mikroben als Nahrungsgrundlage für ihre Stoffwechselprozesse und ist gleichzeitig das Medium, auf dem sie wachsen.

Das Substrat beeinflusst das Fermentationsergebnis, weil

  • alle rohen Lebensmitteln, die wir nutzen, von unterschiedlichen Mikroorganismen besiedelt sind. In ihren Umgebung leben sie zusammen, antworten und reagieren auf Umweltbedingungen, tauschen Enzyme oder andere Stoffwechselprodukte aus.
  • die Zutaten einen unterschiedlichen Zucker- bzw. Kohlenhydratgehalt haben. Zum Beispiel hat ein Weißkohl einen viel niedrigeren Zucker- und Kohlenhydratanteil als eine Rote Bete.
  • es sich immer wieder in Konsistenz und Wassergehalt unterscheidet.
    Manche Gemüsesorten, die von Haus aus einen höheren Wassergehalt aufweisen, wie Zucchini, Gurken, Radieschen etc. werden bei der Fermentation schneller weich. In diesen Fällen wird Abhilfe durch eine kürzere Fermentationszeit, durch einen höheren Salzgehalt oder durch das Hinzufügen von gerbstoffhaltigen Blättern geschaffen. Diese verhindern bzw. verlangsamen den Prozess aufgrund der enthaltenen Gerbstoffe, der Tannine. Dazu gehören z.B. Brombeer-, Himbeer-, Johannisbeer-, Kirsch-, Wein- und Eichenblätter.

Entscheidend ist auch, ob man proteinhaltige oder auch tierische Produkte dem Fermentationsansatz hinzufügt. Zutaten wie Fischsauce, Sojasauce, Misopaste enthalten unterschiedliche Nährstoffe, oft schon eigene Mikroorganismen und Komponenten, die die Fermentationsbedingungen beeinflussen können.

Das Salz

Salz, chemisch betrachtet Natriumchlorid (NaCl), ist einer der wichtigsten Faktoren bei der Herstellung bestimmter Fermente wie milchsaurem Gemüse oder Kwass.
Der Einsatz von Salz beeinflusst die Fermentation auf unterschiedliche Arten:

  • Das Salz entzieht dem Gemüse durch Osmose Flüssigkeit aus den Zellen. Es bildet sich die schützende Lake, in der der anaerobe Fermentationsprozess stattfindet.
  • Durch die entsprechende Salzkonzentration entsteht ein selektives Milieu, in dem
    unerwünschte Mikroorganismen, die Schimmel oder Kahmhefe bilden und Alkohol
    produzieren, ausgebremst werden, da sie in diesem Milieu nicht lebensfähig sind. Den salz-
    toleranten Milchsäurebakterien hingegen erhalten den entscheidenden Startvorteil. Sie wachsen und vermehren sich, gewinnen die Oberhand und produzieren im Laufe der
    Fermentation immer mehr konservierende Milchsäure. Der pH-Wert im Gefäß sinkt.
  • Es hält das Gemüse knackiger, da es die Aktivität von Enzymen, die Pflanzenpektine
    abbauen, verlangsamt und Zellbestandteile wie Pektine verhärtet.
  • Es verlangsamt den Fermentationsprozess.

Von welcher Menge Salz sprechen wir?

Das ist abhängig von verschiedenen Faktoren:

  • Höhere Temperaturen und weniger Salz beschleunigen bzw. verkürzen die Fermentation, wohingegen mehr Salz als auch kühlere Temperaturen den Prozess verlängern bzw. verlangsamen. Das bedeutet: Im Sommer kann dem Ferment mehr Salz hinzufügt werden, um den Fermentationsprozess, der durch Wärme beschleunigt wird, etwas zu verlangsamen und umgekehrt.
  • Außerdem ist die Höhe der Salzkonzentration abhängig von dem Zucker- bzw. Kohlenhydratgehalt des Fermentansatzes. Als Faustregel gilt: Je höher dieser Gehalt, desto höher kann man mit der Salzkonzentration gehen.
  • Grundsätzlich kann Gemüse in einer Lake mit einer Salzkonzentration zwischen 1,5-6 % fermentiert werden. Hier kommt es auch auf die Gemüse- und Obstart und die Dauer der Konservierung an. Im Allgemeinen werden mit 2-3,5 % gute Ergebnisse erzielt. Die genaue Salzkonzentration für einzelne Fermente wird in den Rezepten empfohlen.

Kleine Info:
0 % Salz: Das Gemüse verrottet an der Luft.
1-2 % Salz: Milchsäurefermentation ist möglich.
2-3,5 % Salz: Eine sehr große Anzahl fermentierender Mikroorganismen und ein gutes Aroma  entwickeln sich.
3,5-5 % Salz: Fermentation ist möglich, schließt aber einige Mikroorganismen der ersten Phase, z.B. Leuconostoc mesenteroides aus.
8 % Salz und mehr: Die Aktivitäten von immer mehr Mikroorganismen gehemmt und
somit maßgeblich das Endergebnis beeinflusst. Es enthält andere Metabolite, Geschmackskomponenten und unterscheidet sich in der Textur. Höherprozentige Laken eignen sich zur Konservierung.
10 % Salz: Generell sagt man, dass bei diesen Konzentrationen keine Fermentation mehr möglich ist.

Fermentationsdauer

Das ist kein einfaches Thema, denn der Faktor Zeit, das Warten und das persönliche Empfinden sind mit die schwierigsten Faktoren der Fermentation.
Jedes Ferment hat eine andere spezifische Fermentationsdauer. Wir erklären die genaue
Fermentationsdauer bei den entsprechenden Fermenten bzw. in den Rezepten.
Entscheidend ist: Fermentation ist ein Experiment und so muss jeder für sich selbst herausfinden, welche Fermentationszeit für das eigene Ferment die passende ist. Auch hier sind
persönliche Vorlieben wie der Geschmack und die Konsistenz neben dem gesundheitlichen
Aspekt von Bedeutung. Nicht jeder mag zum Beispiel ein länger fermentiertes, saures
Gemüse von vielleicht weicherer Konsistenz, sondern lieber ein mildes, knackiges.

Fermentationsdauer

Die unterschiedlichen Hauptakteure der wilden Fermentation haben spezifische Temperatur-Präferenzen bzw. -Optima. Bei den meisten liegen diese zwischen 20 °C bis 30 °C. 
Wichtig ist es, auf die saisonalen Temperaturunterschiede zu achten, denn bei wärmeren Temperaturen läuft der Fermentationsprozess schneller ab. Dementsprechend können sich einzelne Fermentationsphase verkürzen. Aber: Zu hohe Temperaturen können sich negativ auf den Geschmack und die Textur auswirken.  Im Unterschied dazu können zu niedrige Temperaturen die Fermentation hemmen. Das hat zur Folge, dass der pH-Wert zu langsam sinkt und häufiger Fehlgärungen entstehen.

Sauerstoffgehalt

Für die Herstellung von wilden Fermenten kann mit Sauerstoff (aerob) oder ohne (anaerob) fermentiert werden.

Das ist abhängig vom Ferment und somit von seinen Hauptakteuren und der Fermentationsart. Zum Beispiel wird die Essig-Herstellung und auch die Ginger Bug-Anzucht mit Hilfe von Sauerstoff durchgeführt. Milchsaures Gemüse, einige Pesto- oder auch Senfansätze hingegen werden unter Luftabschluss, also anaerob, hergestellt. Und in diesen Fällen ist das Versenken des Substrates unter der Salzlake und somit das Verhindern des Sauerstoffkontaktes eine essenzielle Voraussetzung, um der Schimmelbildung vorzubeugen. Zudem „floriert“ das Wachstum der Milchsäurebakterien in der sauerstofflosen Umgebung und gleichzeitig werden zahlreiche unerwünschte Bakterien abgetötet oder in ihrem Wachstum ausgebremst. Durch die voranschreitende Fermentation wird zusätzlich der
gesamte Sauerstoff im Glas verbraucht/verdrängt, sodass innerhalb weniger Tage unterhalb des Fermentationsdeckels ein anaerobes Milieu herrscht und der Konservierungsprozess
voranschreitet.

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