Wilde Fermente

Wilde Fermente und ihre Stars

Bei der wilden Fermentation sind besondere Mikroorganismen aktiv, die wild in unserer Umgebung vorkommen und die wir für unsere Fermentationen nutzen. Nach dem Prinzip: wild und kontrolliert. Dazu gehören Milch- und Essigsäurebakterien sowie wilde Hefen, die überall in unserer Umwelt zu finden sind und die euch in dem Kurs immer wieder bei bestimmten Fermenten begegnen.

Durch die Fermentationsbedingungen, zum Beispiel aerob oder anaerob, mit Salz oder Zucker, niedrigere oder höhere Temperatur können wir beeinflussen, wer den Fermentationsprozess übernimmt und welches Endprodukt wir dadurch erhalten.

Milchsäurebakterien (MSB), Laktobazillen, LABs

Milchsäurebakterien, die Mikroben des Jahres 2018, sind eine vielseitige Gruppe von
grampositiven, bedingt (fakultativ) anaeroben Bakterien in Stäbchen- oder Kugelform, die überall vorkommen: auf unseren Pflanzen, im Boden, in Flüssigkeiten (z.B. in Milch) und bei uns Menschen auf unserer Haut sowie unseren Schleimhäuten. Sie sorgen hier für ein gesundes Mikroklima unter anderem indem sie die Ansiedlung pathogener Keime verhindern, durch eine dichte Besiedlung und durch Milchsäurebildung (Senkung des pH-Wertes).
Milchsäurebakterien sind leicht zufriedenzustellen, was ihren “Wohnort” betrifft. Hauptsache sie finden organische Materialien als Futter und sind von einer gleichbleibenden Temperatur umgeben, egal ob in unserem Verdauungstrakt, einem Lederbeutel oder im Fermentationsgefäß.

Die Milchsäurebakterien in der Milchsäuregärung

Bei der Milchsäuregärung sind verschiedene Arten von Milchsäurebakterien aktiv. Je nachdem welche Endprodukte entstehen unterscheidet man zwei Arten:

1. Heterofermentative Stämme
Dazu gehören Leuconostoc mesenteroides und einige Angehörige der Gattung Lactobacillus, wie Lactobacillus pentosus und Lactobacillus brevis.
Sie bilden als Hauptendprodukte neben Milchsäure auch Kohlenstoffdioxid, Ethanol und Essigsäure.

2. Homofermentative Stämme
Dazu gehören die Gattungen Streptococcus, Lactococcus, Pediococcus sowie angehörige der Gattung Lactobacillus, z.B. Lactobacillus plantarum.
Sie bilden als Hauptendprodukt nur Milchsäure und können einen hohen Säuregehalt (niedrigen pH-Wert) aushalten.

Milchsäurebakterien und ihre Arbeit

Milchsäurebakterien und ihre Arbeit

Milchsäurebakterien ernähren sich von den Kohlenhydraten (Zucker, Stärke) in unseren Nahrungsmitteln und nutzen sie zur Energiegewinnung u.a. für ihr Wachstum sowie ihre Vermehrung. Dafür bevorzugen MSB einen Temperaturbereich zwischen 20-45 °C und gehören somit zu den mesophilen Mikroben. Ihre optimale Wachstumstemperatur beträgt 20-30 °C.
Bei diesen Stoffwechselprozessen produzieren sie die säuernde, konservierende Milchsäure – einen “Bio-Konservierungsstoff”. Dadurch steigt der Säuregehalt in den Fermenten, das heißt, der pH-Wert sinkt. Gleichzeitig wird der restliche Sauerstoff durch die einsetzende Gärung verdrängt. Beides führt dazu, dass die Ansiedlung sowie das Wachstum potenziell schädlicher Mikroben bzw. Nahrungskonkurrenten verhindert werden.
Den Milchsäurebakterien hingegen machen diese Bedingungen nichts aus, denn sie sind zum einen sehr säuretolerant und zum anderen anaerob. Die entstehenden Fermente sind lange haltbar, d.h. konserviert. Zudem verändert sich während der Fermentation der Geschmack: die Fermente werden säuerlich, vollmundig – wie man so sagt, entwickeln sie “UMAMI”.

Essigsäurebakterien

Essigsäurebakterien (auch Essigbakterien, englisch acetic acid bacteria, AAB) wie Acetobacter (z.B. Acetobacter aceti, Acetobacter pasteurianus) und Gluconobacter aus der Familie der Acetobacteraceae sind gramnegative, aerobe, oft bewegliche, stäbchenförmige Einzeller. In der Natur kommen sie in Luft, im Wasser & Boden, auf der Oberfläche von Früchten, Blüten und anderen Pflanzenteilen vor. Sie leben oft in der Gesellschaft von wilden Hefen und
weiteren Mikroorganismen, vor allem da, wo Hefen Zucker oder Stärke in Ethanol und Kohlendioxid verstoffwechseln, d.h. vergären. Entdeckt wurden sie von Louis Pasteur (1822-1895), auf den u.a. die Pasteurisierung zurückzuführen ist.

Essigsäurebakterien und Fermente

Essigsäurebakterien wie Acetobacter und Gluconobacter spielen eine Rolle in verschiedenen Gärungsprozessen, unter anderem bei dem von Essig. In der Gemüsefermentation spielen sie eher eine Nebenrolle. Bei der Herstellung von Kombucha sind sie fleißig dabei. Sie leben mit anderen Mikroben in den „Mischwesen“, den Scobys (Symbiotic culture of bacteria and yeast) und einige kommen durch die aerobe Fermentation sicherlich aus der Umgebung dazu. Je länger der Kombucha mit reichlich Sauerstoffzufuhr steht, desto mehr gewinnen sie die Oberhand und in Folge erhalten wir nach einiger Zeit unseren Kombucha-Essig.

Essigsäurebakterien und ihre Arbeit

Bei diesen Gärungsprozessen produzieren sie unter Sauerstoffeinfluss aus Ethanol, den ihnen vorher die wilden Hefen aus Zucker produziert haben, Essigsäure. Dabei gewinnen sie die Energie für ihre Aktivitäten und ihr Wachstum. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist immer genügend Luftzufuhr, denn sie benötigen genau wie wir zum Leben und Arbeiten Sauerstoff, d.h. sie arbeiten aerob. Gerne halten sie sich dabei an der Oberfläche von Flüssigkeiten auf, da ihnen dort sowohl Sauerstoff aus der Luft als auch Alkohol aus der Flüssigkeit zur Verfügung stehen.
Während des Gärprozesses steigt der Essigsäuregehalt. Infolgedessen sinkt der pH-Wert der Flüssigkeit und macht die Umgebung für andere Mikroben unwirtlich.
Essigsäurebakterien zeigen wie einige Milchsäurebakterien auch eine hohe Säuretoleranz und können bei sehr niedrigen pH-Werten leben. 
Sie bevorzugen einen Temperaturbereich zwischen 25-30 °C und gehören somit zu den mesophilen Mikroben. Allerdings arbeiten sie auch bei niedrigeren Temperaturen, nur etwas langsamer.

Unterschiede zwischen Acetobacter und Gluconobacter

Acetobacter sind in der Lage, mit Hilfe von Enzymen des Citratzyklus (Zitronensäurezyklus) Essigsäure weiter zu Kohlendioxid und Wasser abzubauen. Das führt dazu, dass selbst produzierte Essige, die zu lange offen stehen, plötzlich ihren Geschmack verlieren und mehr nach Wasser schmecken.

Gluconobacter sind nicht so aktiv bei der Umwandlung von Ethanol in Essigsäure, die sie auch nicht weiter abbauen wie ihre Verwandten, da ihnen die entsprechenden Enzyme fehlen. Ihr Endprodukt ist Essigsäure.

Sie verstoffwechseln Glucose in die organische Gluconsäure mit einem sehr milden, sauren Geschmack. Daher auch ihr Name.

Wilde Hefen

Unter Wilde Hefen, auch als „echte Hefen“ bezeichnet, sind in der freien Natur vorkommende Hefearten zu verstehen, im Gegensatz zu kultivierten Hefestämmen, (Kulturhefen), die oft in industriellen Prozessen oder für spezifische Anwendungen in der Lebensmittel- und Getränkeherstellung verwendet werden. Sie kommen in Luft, auf Pflanzen, Blüten und vielem, was zuckerhaltig ist, z.B. Früchte, Nektar, jedoch auch im Boden und Wasser vor. Oft findet man sie in Gesellschaft anderer Mikroben, z.B. Essigsäurebakterien.

Wilde Hefen sind neben Milch- und Essigsäurebakterien bei wilden Fermentationen anzutreffen und arbeiten Hand in Hand mit ihnen. Ihre Anwesenheit ist oft am Geruch erkennbar. In Flüssigkeiten erkennt man sie auch in Form von Flocken, Fäden und/oder eines Bodenbelages.

Wilde Hefen und Fermente

Es gibt zahlreiche Arten von wilden Hefen, da sie in verschiedenen Umgebungen und auf unterschiedlichen Substraten vorkommen können.

Einige der häufigsten wilden Hefen, die in der Fermentation eine Rolle spielen (z.B. zur Herstellung von Sauerteig, Essig, Wein, Bier) sind:

  • Saccharomyces cerevisiae ( Back- oder Bierhefe)
  • S. ellipsoideus (Weinhefe)
  • Candida: Es gibt verschiedene Arten von Candida-Hefen. Einige Arten können in fermentierten Lebensmitteln wie Sauerkraut, Brot oder Bier gefunden werden.
    a) Candida utili im Kefir
    b) Candida krusei im Sauerteig

Wilde Hefen und ihre Arbeit

Die meisten wilden Hefen sind fakultativ anaerob, d.h. sie gewinnen die Energie für ihre Tätigkeiten, ihr Wachstum und die Vermehrung je nach Bedingungen aerob oder anaerob. Ihre Arbeitsweise ist komplex und variiert je nach Hefeart und Umgebungsbedingungen. Sie können eine Vielzahl von Aromen erzeugen, die den Geschmack und den Geruch von fermentierten Produkten beeinflussen.
Einige von ihnen fermentieren Zucker, der in den Zutaten natürlich vorkommt oder hinzugefügt wird während der Fermentation zu Wasser und Kohlendioxid, andere zu Ethanol (Alkohol) und ebenfalls Kohlendioxid (alkoholische Gärung). Einige sind in der Lage, je nach Situation beide Prozesse durchzuführen, z.B. Saccharomyces cerevisiae. Die alkoholische Gärung ist nicht nur für die Produktion von verschiedenen Fermenten wichtig, sondern auch für das Aufgehen von Brotteig, da das freigesetzte Kohlendioxid Blasen bildet, die den Teig auflockern.

Hinweis

Bei der Herstellung wilder Fermente ist es wichtig, zu beachten, dass die Verfügbarkeit der hier genannten Mikroorganismen hinsichtlich ihrer Vielfalt und Häufigkeit stark abhängig ist von verschiedenen Faktoren wie geografischen Standorten, Klimazonen, unterschiedlicher Umweltbedingungen wie Boden- und Wasserbeschaffenheit. So sind die entstehenden wilden Fermente niemals gleich, sondern besitzen einzigartige Geschmackseigenschaften.

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